Kauf dich glücklich
Eine Kolumne zum Thema Veränderungsdrang und Kaufsucht
Als ich jünger war, hatte ich vielleicht sieben oder acht verschiedene Teile in meinem Kleiderschrank hängen. Wenn ich jünger sage, meine ich 17 Jahre. Mein Kleiderschrank war so übersichtlich, dass mich damals sogar Freundinnen darauf ansprachen. „Du hast aber wenig Klamotten, kauft dir deine Mutter nichts?“
Ich habe mit grob 13 Jahren angefangen, in Nebenjobs zu arbeiten. Vom Zeitungen austragen über das maschinelle Bearbeiten von Montageteilen für Motoren bis hin zu Kunsterziehung – ohne System einmal quer durch die Bank. Dafür hatte ich jeden Monat ein paar hundert Euro zur freien Verfügung. Mir kam jedoch nicht in den Sinn, diese für Kleidung aufzuwenden. Stattdessen wühlte ich mich gerne durch die aussortierten Textilüberbleibsel meiner Eltern aus den 70ern. Trug die alten Folklore-Blusen meiner Mutter zu Jeans oder alte adidas Trainingsjacken meines Vaters in Oversize.
Selbstausdruck durch Kleidung
Während die Mädels in meinem Jahrgang damals in trendy adidas Superstar Sneakern mit rosafarbenen Schnürsenkeln zum pinken Croptop ihr Modebewusstsein feierten, war mir das Ganze ehrlich gesagt ziemlich egal. Ich fand es viel spannender via eBay Kleidung aus den Sechzigern zu bestellen, umzunähen und irgendwie tragbar zu machen. Mir war es egal, dass man über meine Kleidung lästerte, denn ich mochte mich und fühlte mich gut. Ich war frei von allen Regeln, denen andere sorgsam Beachtung schenkten.
Bei Kleidung ging es mir um Selbstausdruck. Mode hat soziokulturelle Aspekte und weist eine hohe Zeichenhaftigkeit auf. Früher gab es die Skater, die Girly Girls oder die Nerds. Im Erwachsenen-Dschungel treffen heute zum Beispiel Business People, Ökomuttis oder Hipster aufeinander. Kleidung ist für viele identitätsstiftend. Bewusst oder unbewusst ordnet man sich einer bestimmten Gruppierung zu, zu welcher man tatsächlich gehört oder gezählt werden möchte. Großartiges Beispiel auch mein Brudi Padshah, der „iced out“ mit seinen Cuban Links den inneren Rapper nach außen kehren möchte. Stil, Image, Selbstverwirklichung oder Szene, alles gute Seiten von Mode und damit einhergehend Konsum. Es gibt jedoch auch Downsides und damit meine ich nicht Fast Fashion.
Das Problem mit dem Selbstwert
Verändert hat sich mein Verhältnis zu Kleidung und Mode als ich in meinen frühen 20ern mit einem 11 Jahre älteren Mann zusammenkam. Ihm war es wichtig, dass ich weiblich wirkte und gut aussah. Seine Ex war das komplette Gegenteil zu mir. Unfassbar dünn und der Natur nach viel kleiner und zierlicher, blondiert, dauergewellt und trug grob geschätzt 15 Silberringe auf einmal. Ich fand sie schrecklich und verstand nicht, wie man als Kerl eine so billige Optik geil fand. Doch wenn man jung ist, lässt man sich leichter verunsichern. Nicht lange danach trug ich statt weiter Jeanshose ein Blumenkleid. Meine Haare abschneiden sollte ich mir im besten Fall nie und überhaupt könnten meine Beine auch trainierter sein.
Heute würde ich ihm (und wir verstehen uns noch immer gut) den Kram um die Ohren hauen, denn es ist einfach nur kacke, jemanden verändern zu wollen. Vor allem wenn es eine junge Frau ist, die einen gestandenen Mann in seinen frühen 30ern beeindrucken will. Mit den Jahren entfernte ich mich immer mehr von dem Menschen, der ich eigentlich war. Mein damaliger Partner war sehr materiell veranlagt und hatte ein hohes Anspruchsdenken. Das färbte ab und eines Tages war es normal, dass er mir Mäntel für 700 Euro schenkte oder dass meine Friseurbesuche mehrere hundert Euro kosteten. Er staffierte mich regelrecht aus und las mir jeden Wunsch von den Augen ab. Manche Frauen würden sich dies wünschen, doch für mich war es ein goldener Käfig.
Einkaufen als Kompensationsverhalten
Zeit war selten vorhanden. Er arbeitete teilweise 60 Stunden in der Woche. Dafür ging es am Wochenende nach Berlin zum „Kleidchen kaufen“. Meine Unzufriedenheit wuchs und eine Leere in mir keimte. Selten gab es ein tiefgründiges Gespräch, dafür jedoch niemals ein „Nein“ zu einem meiner Wünsche. Ich war allein und je einsamer ich mich fühlte, desto voller wurde mein Kleiderschrank. Das klingt jetzt erst einmal nach Klischee, doch Shoppen löste Glücksgefühle in mir aus. Und die damit verbundene „Selbstoptimierung“ lässt einen unbewusst doch irgendwie darauf hoffen, dass er der Frau, die seinem Wunschbild entspricht, vielleicht doch mehr Zeit widmen möchte. Ein Teufelskreis. Es kam vieles zusammen und eines Tages hielt ich es nicht mehr aus. Die Enge, die Nähe, meine eigene Gleichgültigkeit gegenüber allem.
Neues Top, neuer Mensch
Die darauffolgenden drei Jahre waren ein ziemliches Auf und Ab. Ein so großer Bruch stellt erst einmal alles auf den Kopf. Nichts in deinem Leben hat Bestand, nichts funktioniert. Was jedoch immer klappt, ist den Fokus von Innen nach Außen zu verlagern. Egal wie mies ich mich fühlte, nach außen kommunizierte ich ein anderes Image. Warum sich mit seinem unguten Bauchgefühl beschäftigen, wenn äußerlich alles in „Topform“ ist? Wenn ich mich unzufrieden gefühlt habe, als käme ich unters Rad, zog es mich in die Geschäfte. Nicht immer für das nächste Trendteil, sondern auch um mich zu „verwandeln“. Neue Klamotte, neuer Mensch. Haare ab, Haare blond, Haare pink – ich kann kann gar nicht zählen, wie häufig ich mich in den 3-5 Jahren äußerlich verändert habe. Immer mit dem Wunsch – unbewusst – auch innerlich etwas zu verändern. Dafür musste ich jedoch einmal komplett auf den Reset Button drücken, was ich im letzten Jahr dann auch getan habe.
Ob es eine „richtige“ Kaufsucht war, kann ich rückblickend nicht sagen. Mein Drang, mich ständig zu verändern und dafür ausgiebig shoppen zu gehen, hat jedoch nachgelassen. Geht es mir weniger gut, zieht es mich nicht mehr zu Zara, sondern ich mich zurück. Erst vorgestern habe ich grob 50% meiner Kleidung aussortiert, weil sie mir unliebsamer Ballast aus der Vergangenheit ist. Psychologen raten Personen, die sich die Frage stellen „Bin ich kaufsüchtig?“ oder „Warum bin ich kaufsüchtig?“ vor allem in sich hineinzuhören, inwiefern als Motiv für die Kaufsucht das Füllen einer inneren Leere in Frage käme. Möglicherweise stehen Einsamkeit, sowie mangelnde Erfüllung von Zuneigung, Respekt und Aufmerksamkeit mit dem pathologischen Drang zu Kaufen in Zusammenhang.
Wem kommen solche Verhaltensmuster bekannt vor? Wie geht ihr mit euch um, wenn es euch phasenweise weniger gut geht?
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