never miss a good chance to shut up
Könnte ich mit meinem jüngeren Selbst in einen Dialog treten, würde ich mir diese Person ordentlich zur Brust nehmen. Ich würde meinem damaligen Ich nahelegen wollen, dass man sich nicht ständig interessant zu machen braucht. Auch dass man nicht immer den Ton angeben muss, Durchsetzungsvermögen nicht nur ein Zeichen von Stärke ist und man manchmal schlichtweg die Klappe halten sollte.
Ich gehörte immer zu den Menschen, die sich gerne mitteilen. Ich galt in meinem Freundeskreis als nicht besonders verschwiegen, was Persönliches betraf. Freunde konnten mir wichtige Dinge anvertrauen und ich behielt diese Geheimnisse für mich. Meine Angelegenheiten trug ich dagegen häufig redselig nach außen. Ich quatschte zuviel. Auch würde ich mich als jemanden bezeichnen, der auf Teufel komm raus seinen Standpunkt deutlich machen wollte. Wusste jemand etwas nicht oder ich etwas besser, brachte ich mich ein. Ich diskutierte zum Teil heftig über Banalitäten, obwohl es einer Sache nicht unbedingt dienlich war. Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre meinem früheren Ich gegenüber zu sitzen. Ich hätte mir viel zu erzählen. Natürlich würde ich mir einiges an Ärger und Kummer ersparen wollen. Wenn ich diese Gelegenheit hätte, könnte ich mir folgende Ratschläge nicht verkneifen:
Erzähl keine semi-intimen Geschichten, nur um jemanden gut zu unterhalten! Entweder man mag dich wie du bist oder eben nicht. Du musst nicht Everybody’s Darling sein. Sätze wie „Dich kann man in wirklich jede Talkshow setzen!“ sind verdammt nochmal kein Kompliment! Wie oft haben dich irgendwelche Klatschtanten als vermeintliche Informationsquelle denunziert? Bist du freigiebig mit dir selbst, bist du auch freigiebig mit dem, was dir andere im Vertrauen erzählen. Vorurteile können grausam sein. Wie häufig waren andere grundlos von dir enttäuscht? Erzähle nicht unüberlegt von dir und dem, was dich bewegt. Für all dies gibt es die richtige Person und den richtigen Moment – niemand drängt dich.
Ich weiß, dass du gerne wortführend bist. Manchmal ist es jedoch taktisch klug, sanftere Töne anzuschlagen. Du hast Sorge, nicht gehört zu werden? Du glaubst, dass man dich nicht ernst nehmen könnte? Das ist kein Grund für Verbissenheit. „Mit ihr würde ich mich nicht anlegen wollen.“ Dir gefällt, wenn sie das über dich sagen? Du verstehst noch nicht, was sie damit eigentlich meinen. Du willst dir unbedingt Gehör verschaffen? Dazu ist es notwendig, dass andere dir zuhören wollen. Manchmal ist es von Vorteil, nicht überall anzuecken. Versuch dich mehr zurückzunehmen. Niemand will, dass du im Strom untergehst. Ein bisschen mehr WIR und gleichberechtiger Meinungsaustausch tun jedoch nicht weh.
Dich nervt, dass jemand Bullshit erzählt? Lass ihn doch! Es ist nicht dein Job, die Welt zu belehren oder andere zu berichtigen. Man muss nicht immer Recht haben! Man kann gern im Recht sein – wenn es eine gemeinsame Sache voranbringt. Jemandem allerdings vor Augen zu führen, dass man den besseren Durchblick hat? Wieviel Geltungsbedürfnis versus selbstlosem Helferwillen batteln sich da? Eigentlich verfügst du über Taktgefühl und Charme. Auch Diplomatie ist kein Fremdwort für dich. Nutze sie! Wer am lautesten schreit, hat Recht? Leider wird dich das nicht ans Ziel bringen. Wenn jemand von einem solchen Austausch profitiert, teile ihm deine Ansichten mit. Tritt ihm dabei jedoch nicht auf den Schlips. Du bist übrigens auch heute noch ziemlich schlecht darin, Uneinigkeit oder Missfallen zu verbergen.
Der Mann ist 28 Jahre älter als du und dazu dein Vater. Glaubst du allen erntes, dass du ihn in einer langwierigen, sinnlosen Diskussion von deiner Einstellung überzeugen kannst? Vergiss es! Du hast seines Erachtens viel zu wenige Zähler auf dem Kerbholz, als dass dein sogenanntes Gespinne etwas gilt. Ein anderer Lebenswandel? Deine Mutter ist ein schwieriger Charakter. Es wird noch häufig ein spöttisches „du kochst komisch“ und „du glaubst diesen Betrügern“ geäußert werden. Versuche nicht, auf Krampf jeden Kampf gewinnen zu wollen. Wenn du sie von etwas überzeugen willst, musst du andere Wege finden. Du kannst eine Sache vorantreiben, wenn es sich lohnt. Wenn derjenige jedoch schlichtweg kein Interesse daran hat, solltest du deine Energie sinnvoller einsetzen.
Wie gestaltet sich diese Situation heute? Natürlich muss ich mir manchmal ein „ja, aber…“ verkneifen, mir auf die Lippe beißen oder bewusst weghören. Dennoch habe ich für mich gelernt, dass es einem gut tut, häufiger die Klappe zu halten. Damit meine ich nicht, dass man seine Meinung nicht zum Ausdruck bringen soll. Es kommt jedoch auf das WIE und auch auf das WANN an. Trotzdem sollte man sich selbst treu bleiben können. Mir gelingt es inzwischen meist, diese Dinge in Balance zu halten. Ich wünschte mir manchmal, es wäre damals schon so gewesen.
Was würdet ihr eurem jüngeren Selbst für Ratschläge mit auf den Weg geben, wenn ihr die Möglichkeit dazu hättet?
Ich finde diesen Beitrag toll und auch das Bild ist wunderschön. Kann es sein, dass du einen Pagenschnitt trägst? Steht dir ausgezeichnet!
Ich würde gerne mit mir selbst vor 5 Jahren ein paar Worte wechseln. Da würde ich mich davon überzeugen, keine 3 Jahre mit der Ausbildung zur Hotelfachfrau zu vergeuden!! Inzwischen studiere ich BWL und wäre einfach gerne schon weiter als jetzt. Außerdem wäre es angebracht, auch mal nein zu den Bitten anderer zu sagen. Heute kann ich das. Früher wurde ich manchmal für meine Freundlichkeit ausgenutzt. Nett sein ist das eine, aber wenn andere damit ihre Spielchen treiben ist das unangenehm.
Danke! :) Ich habe meine Haare nicht abgeschnitten, sondern nur zu einem strengen seitlichen Zopf gebunden. :D
Liebe Grüße!
Schöner Artikel, liebe Mia!
Dankesehr!
Finde ich auch schön! Kann ja sehr heilsam sein, seinem jüngeren „Ich“ so etwas zu sagen. Ich würde mir auf jeden Fall sagen, dass ich mir mehr vertrauen sollte und auf meine Intuition hören sollte. Außerdem würde ich mir sagen, dass es keinen Grund gibt, nicht auf mich stolz zu sein, andersherum: Es gibt jede Menge Gründe mit mir zufrieden zu sein – auch damals schon ;)
Vielen Dank für deine lieben Worte! Beim Thema Selbstvertrauen gehe ich mit. Hätte ich mehr davon gehabt, wäre mir das Feedback anderer sicherlich nicht so wichtig gewesen. Ich mag deinen Blick auf dich als Person. Viele sollten mehr „Selbstliebe“ zulassen! :)
Greetz!
Mia
[…] Ich genoss den Sommer, fuhr in den Urlaub nach Spanien und Südfrankreich und konnte mich endlich mehr mit mir selbst beschäftigen. Ich besuchte Festivals, Konzerte, Museen, machte wieder Sport, kam mehr unter Leute und hatte […]