Leipzig & Lärm
Heute wird in Leipzig der Buß- und Bettag gefeiert. Das bedeutet für mich: Ein ganzer Tag ohne lästigen Baulärm. Ich wohne nämlich auf einer Großbaustelle. Der Hypezig-Likezig Bullshit in den Medien berücksichtigt selten, dass mit der ungeliebten Gentrifizierung in Leipzig eine nicht zu verachtende Lärmbelästigung einhergeht. Vor einem Jahr noch eine zartbegrünte Baulücke auf dem Nachbargrundstück, jetzt vier Neubauvillen im Entstehen mitten auf der Karli. Der Krach lärmt seit Oktober 2013 von Montag bis Samstag und reizt jeden Tag meine persönliche Schmerzgrenze etwas mehr aus. Oftmals wird nicht um 07:00 Uhr, sondern schon früher mit den Arbeiten begonnen. Es interessiert auch keinen, ob um 06:30 Uhr der Schlagbohrer angesetzt wird – zu dieser Zeit schläft das Ordnungsamt meist. Und Frühstück auf einer vibrierenden Schreibtischplatte? Diese Erfahrung möchte man schließlich nicht missen. Wenn mich der Bau der luxuriösen Eigentumswohnungen nebenan einmal nicht so sehr belästigt, dann ist es die Sanierung der Karl-Liebknecht-Straße. Entweder man krawallt direkt vor meiner Tür ab 06:45 Uhr und früher oder es preschen irgendwelche Radlader und es quälen sich große und kleine Bagger an meinem Schlafzimmerfenster vorbei. Für solche Grobauprojekte gibt es nämlich immer ein Materiallager. Dieses liegt in meiner Straße und kennt keine Schonzeiten. Die Organisation des Karli-Projekts sieht regelmäßig Nachtarbeiten vor. Am vergangenen Wochenende drei Nächte am Stück, die bisherige Höchstleitung waren sieben Tage ohne Unterbrechung. Wie man sowas aushält? Oropax filtern tiefe Töne nur sehr schlecht. Das hat zur Folge, dass ich seit etwas über einem Jahr Phasen von akutem Schlafmangel habe.
Ihr müsst euch das so vorstellen: Von Montag bis Samstag bauen sie an jeder Ecke konzentrisch um mich herum und am Wochenende wird im Club Absturz dafür gesorgt, dass auch der Samstag Abend bzw. die Nacht fett lärmt. Da morgen Feiertag ist, herrscht ein vergleichbarer Zustand. Ich liege wach, da seit Stunden Bassklänge von draußen laut hörbar nach innen dringen. Sich darüber zu beschweren, macht keinen Sinn. Das hat ein inzwischen verzogener Nachbar einmal in der Nacht zum ersten Mai versucht, als bis morgens um 08:00 Uhr die Klänge elektronischer Musik dafür sorgten, dass die Nachbarshunde alle halbe Stunde aufjaulten. Im Wettstreit. Geiler Scheiß. Warum ist es unseren lieben Hütern von Recht und Ordnung nicht möglich, den Lärmpegel auch nur minimal zu senken? Die zuständigen Polizisten sind meist nur zu zweit im Einsatz und es ist wohl ziemlich „gefährlich“ im Club Absturz. Da traut man sich schlichtweg nicht rein. Zumindest begünstigt das Publikum mit seinen „zerrissenen Klamotten und wilden Frisuren“ scheinbar die Gefühlslage der Furcht. Nicht vergessen sollte man, dass am Wochenende das halbe Umland nach Leipzig zum Feiern fährt. Borna, Delitzsch, Döbeln und wie sie alle heißen haben eine Menge Nancys und Enricos, die am Samstag irgendwo im szenigen Leipzig Party machen wollen. Oftmals geht es ins Nachtcafé (weit weg von mir), doch im Sommer zieht es die meisten auf die Karli. Dass man dann um halb fünf gegen Papis geleasten BMW lehnt, alle Türen aufgerissen hat und irgendwelchen Schranz laut aufdreht, ist garnicht so selten. Die geniale blond-schwarze Färbung der Haare und die fleckig gebleichten Jeans verraten die Herkunft der jungen Leute ohne Umwege und es ist mir eine wahre Freude, den Choleriker von gegenüber bei den regelmäßigen Zusammentreffen schimpfen zu hören. Ob Baulärm, Bass, Schlägerei, Sachbeschädigung oder besoffene Klingelversuche, ich kann mich am Wochenende manchmal nur schwer entspannen.
Wie dem auch sei: Im Süden Leipzigs zu wohnen, ist seit mehreren Monaten einfach nur der blanke Horror. Leipzig ist schön und ja, ich verstehe warum es einen erneuten Immatrikulationsrekord gibt, doch in der Südvorstadt nahe Südplatz leben? Mein persönlich gelebter Alptraum. Die Mieterfluktuation in unserem Haus ist meines Erachtens ein guter Stimmungsindikator für die derzeitige Situation. Neben einer Partei, die vorerst nicht ausziehen kann, sind wir die einzigen seit Erstbezug wohnhaften Mieter. Alle anderen sind inzwischen ausgezogen und wieder ausgezogen und vor 3 Wochen ausgezogen. Nicht nur meine Ecke bietet wenig optimalen Wohnraum. Im Bereich der Brandvorwerkstraße, nahe zum Fockeberg, entstehen zahlreiche Stadtvillen. Jeder, der im Süden noch an einer Baulücke wohnt, kann nur auf ungeklärte Besitzansprüche hoffen. Auch Plagwitz, Altlindenau und Zentrum West brillieren mit Lärmspots erster Güte. An der einen Ecke wird die Erde für einen Kanal aufgerissen, hier wird eine Brücke saniert und dort der Altbau für 3000 Euro der Quadratmeter saniert. Klar, manche halten das für toll und sicher ist es in Teilen eine schöne Sache, wenn alles irgendwann einmal fertig gestellt ist. Mietpreise ausgenommen. Die offiziellen Baumaßnahmen der Stadt vermischen sich mit dem omnipräsenten Eindruck einer Stadtbaustelle Leipzig, da in jeder Straße ein oder mehrere Kapitalanlagen hochgezogen werden. Was macht man am besten in so einer Situation? Also neben der Tatsache, dass ich Mittwoch früh um 04:08 Uhr diesen Text tippe? Man zieht aus. Ich zähle die Wochen, bis ich Ende Februar bzw. Anfang März endlich in meine neue Wohnung kann. Ich ziehe in eine Gegend, die eine bereits weitestgehend lückenlose Bebauung aufweist. Ich freue mich schon sehr, bald proaktiv gegen meine chronischen Augenringe vorgehen zu können. Und mit einem Altersheim gegenüber stehen die Chancen ja nicht so schlecht, zukünftig auch mal in Ruhe pennen zu können. Drei Euro mehr Kaltmiete kostet mich dieser Luxus.
Ich mag, wie du das Thema beleuchtest und trotzdem deinen Humor dabei behälst. Wenn du das alles wirklich so erlebst, dann kann ich dein belastetes Nervenkostüm absolut nachvollziehen. :-)
Danke, liebe Dima! :)
Wuah, das klingt echt nach einem Albtraum – mein herzliches Beileid!
Schrecklicher Umstand, aber trotzdem so witzig geschrieben. Kleiner Funfact: ich kenne tatsächlich eine Nancy und einen Enrico, die zufälligerweise sogar ein Paar sind und aus der Nähe von Leipzig kommen :D
Ich danke dir, Heike. Es ist aktuell wirklich ungeil, hier zu leben. Ich finde deinen Funfact witzig. Und gut, dass man die humoristische Note herausliest. Ich hatte schon auf den „political correctness“-Hammer gewartet. :)
Kenn ich nur zu gut. Ich hab auch ein Jahr mitten auf der Baustelle verbracht. Da wurde der Sonn- und Feiertag so manches mal herbei gesehnt… Diese Stille war dann immer sensationell!
Gutes Durchhalten und genieß den Rest vom Feiertag. :)
Vielen Dank! Heute tue ich mich etwas schwer. Ich arbeite viel von zuhause aus und der Innenausbau nebenan wird gerade wieder von heftigem Bohren begleitet. #personalfail
Ich weiß wovon Du sprichst bzw. schreibst…bei mir werden auch gerade nebenan „Stadtvillen“ gebaut und die Bauarbeiten grüßen mich schon jeden Morgen, wenn ich das Rollo vom Schlafzimmerfenster hochreiße ^^
Die Kommunikation mit den Bürgern und der Stadt muss sich verbessern. Vielleicht hilft es ja, wenn man in Ruhe versucht das Thema im Absturz mit den Betreibern zu klären. Es wäre zumindest einen Versuch wert.
Zum Thema Baulärm: Miete mindern! Die Karli ist eine zwar belebte Straße, aber Baulärm vom neuen Eigenheim nebenan und die Sanierung der Straße vor der Tür, muss man nicht einfach in Kauf nehmen.
Erstmal mein Beileid, da weißt du ja wie es mir geht. Zum Absturz und deinem Vorschlag: Ich weiß aus guten Quellen, dass das Amt für Umweltschutz (inkludiert den Immissionsschutz) sowieso schon hinterher ist, was Absturz angeht. Es wird so sehr laut, weil das Gebäude bzw. das Dach baulich garnicht für diese Art von Veranstaltungen ausgerichtet ist. Der Schall dringt ohne Weiteres nach außen. Nachdem ich umgezogen bin, wird mich das zum Glück nicht mehr betreffen. Ich will auch garnicht, dass der Absturz schließt. Das Lärmproblem kann langfristig glaube ich aber nur mittels Sanierung gelöst werden.
Zur Mietminderung: Wer neben eine Baulücke zieht, kann das mit der Mietminderung vergessen. Da bin ich chancenlos. Zwecks der Karli habe ich schon einmal versucht mit der Hausverwaltung zu sprechen, doch die blocken. Ein Hausbewohner hat es direkt mit dem Eigentümer geklärt. Vielleicht sollte ich das angehen…3-4 Monate sind es ja noch.
Liebe Grüße!
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren dass die liebe Autorin etwas blauäugig in Ihre Situation hinein geraten ist, auch wenn ich die Belastung natürlich nachvollziehen kann. Aber Sie zieht in eine Wohnung oder ein Zimmer an die Karli und wundert sich dann über Lärm durch Gäste aus dem Freisitz bzw. dem temporären Club gegenüber? Jeder Makler weist ausdrücklich darauf hin dass es hier bzw. im Feld laut werden kann – wurde uns selbst bei Nebenstraßen mit Nähe zur Karli gesagt. Das ist dort eben so. Auch die Mandy’s und Ronny’s „vom Lande“ sind vollkommen OK, nur damit kann die Karli überhaupt existieren. Nicht von den hippen Lebemenschen die ihre Mate auf den Stufen vorm Blumenladen trinken. Nein, die zechen nicht 3 Bier, 2 Cocktails und verspeisen 1 Mahlzeit im Acapulco oder sonstwo. Das darf man nicht vergessen. Ich „brauche“ die beim Pizzaessen oder Biertrinken auch nicht zwingend, die Betreiber brauchen diese Gäste aber sehr wohl!
Zur Sanierung der Karli: die ist ja nun wirklich schon lange lange angekündigt, aus heiterem Himmel kommt das also nicht. Und ist nicht auch in sehr vielen Gesprächen mit Gewerbetreibenden und Anwohnern beschlossen worden das Zeitfenster der Baumaßnahmen auf 2 Jahre auszudehnen anstatt alles in einem Jahr abzuarbeiten? Hab ich nie verstanden, wollte aber wohl die Mehrheit so. Und klar, wo gearbeitet wird da entsteht Lärm. Und wenn man sein Schlafzimmer zur Straßenseite hin hat wecken einen die Straßenbahnen doch ohnehin (hatte selber zeitweise ein WG-Zimmer „auf der Karli“). Zeitiger fangen die Arbeiter auch nicht an. Und die Stadtvillen entstehen wirklich „mitten auf der Karli“? Sicher? Ich kenne dort keine Baulücke, es dürfte sich also eher um die Shakespearstraße handeln – und das wäre ja dann die Hofseite. Also Schlafzimmer zu beiden Seiten? Und dann auch noch eine vibrierende Tischplatte? Bei aller Polemik kann mir keiner erklären wie man ohne direkten Kontakt des eigenen Hauses zur Baustelle ein Vibrieren übertragen soll. Habe selber die Sanierung der Kurt-Eisner-Straße rund um die Semmelweißbrücke mitgemacht – da hat nie irgendwas vibriert (unser Schlafzimmer war zum Glück hofseitig).
Wenn man am Puls der Zeit leben bzw. wohnen will dann ist man auch überall direkt mittendrin. Ansonsten zieht man auf eine ruhige Seitenstraße, zahlt mehr, und ist trotzdem nur 2 Querstraßen von der Karli entfernt. Das schützt dann aber auch nicht unbedingt davor dass einen das Gebrüll der Nachbarskinder weckt, nicht zum Arbeiten kommen lässt oder die blöden Anwohner tatsächlich schon ab 6.30Uhr scharenweise mit ihren Autos über das pittoreske Pflaster der Nebenstraße zur Arbeit donnern. ;)
Wir leben nun mal in einer (lebendigen) Stadt … und neben allen Vorzügen müssen wir auch ein paar Nachteile in Kauf nehmen. Dass es sich hier und da etwas bündelt lässt sich da manchmal nicht vermeiden. Im Zweifelsfall steht es zum Glück jedem Mieter frei die Mietsache binnen 3 Monaten zu verlassen, auch wenn sich die Suche nach adäquatem Wohnraum aus eigener Erfahrung nicht einfach gestaltet. Man will ja auch nicht am A…. der Stadt wohnen, nicht?! :D
Ich lebe jetzt bereits seit 5 Jahren an der Karli und kann durchaus beurteilen, wie sich die Situation verändert hat. Selbstredend sind manche Formulierungen überspitzt gewählt, die meisten verstehen dieses rhetorische Stilmittel jedoch. Die Freisitze, Straßenbahnen und der normale Lärm am Wochenende sind nichts, was vorher übermäßig gestört hat. In Summe zum Baulärm, ich betone ausdrücklich den additiven Charakter, ist das jedoch eine zusätzliche Belastung. Zum Baulärm und der Sanierung selbst: egal wie oft oder wie lange man so etwas im Voraus ankündigt, es bleibt anstregend und belastend. Jemand, der das nicht ertragen muss, hat davon schlichtweg keine Ahnung. Und trotz der überaus arroganten Leseart des Kommentars: Wenn ein Haus nahtlos hochgezogen wird und Tiefbohrungen durchgeführt werden, vibrieren die Möbel. Gewisse Anschlüsse in der Wohnung geben außerdem eine Raumaufteilung vor. Nicht jeder kann sich eine Wohnung mit 4 oder mehr Zimmern leisten, und sein Schlafzimmer zum Innenhof ausrichten. Und wenn, würde es auch nichts nutzen, da 2 Villen straßenseitig und 2 Villen im Innenhof hochgezogen werden. Es ist einfach scheißlaut, unerträglich, nervtötend und hat nichts mit einem am Puls der Zeit leben wollen und dem implizierten „ertrage das gefälligst, Mädel“ zu tun. Und Wohnraum in Leipzig zu finden, ist wirklich nicht einfach. Ich habe tatsächlich 6 Monate nach einer neuen Wohnung gesucht. Könnte ich es mir aussuchen, würde ich derzeit tatsächlich lieber am Arsch der Stadt wohnen wollen.
Liebe Grüße an dich!
[…] dieser Stress von mir ab und ich konnte das erste Mal seit gefühlten Ewigkeiten durchatmen. Trotz Baustellenlärm und Wohnungssuche war ich die Ruhe selbst. Vermutlich hat das auch mit dem Absetzen der Pille zu […]
[…] jetzigen Wohnung aufgrund des Lärms nicht mehr wohlgefühlt und euch auch mitgeteilt, wie mich die “geräuscharme Atmosphäre” der Baustellen-Stadt Leipzig […]