Genormte Schönheitsideale im Gewand "Body Positivity"

Bodyshaming ist ein Thema, auf das nicht genug aufmerksam gemacht werden kann. Im Internet lachen sie uns an: Die Fitness-Models, die Durchtrainierten und gleichzeitig auch die Kurvenstars mit üppiger Oberweite. Jeder soll zu sich stehen und dennoch sieht man vor allem perfekte Körper mit geübtem Posing. Dazwischen mogeln sich Frauen mit Ass Job und Fettabsaugung an der Taille. Den Rest besorgt Facetune. Ein unrealistisches Körperbild, das eine Sechszehnjährige in Minuten in eine Essstörung treiben kann. Es muss nicht Magersucht sein. Nein, auch Orthorexie – zwanghaft gesund essen – ist Konsequenz unseres Schönheitswahns.
Eigentlich schade. Schönheit und ihre Zurschaustellung ist heute so mannigfaltig wie nie zuvor. Dank visueller Apps wie Instagram sehen wir vom Teenage Bikinigirl auf Bali bis zur neuen Plus Size Sarina Nowak alles in einem Feed. Was allerdings fehlt, ist Normalität. Ein weicher Bauch, ein flacher Hintern in Yogapants, Speckröllchen im Sitzen und Cellulite bei einer gewöhnlich gebauten Frau. Überall wird geschummelt, gemogelt, versteckt, manchmal weggeschnürt, retuschiert und mit Hashtags wie #selflove und #bodypositive versehen. Asos retuschiert plötzlich die Dehnungsstreifen seiner Models nicht mehr und man feiert die Revolution. Ohne Spaß, Leute? Wollt ihr mich veralbern? Ich kann diesen Kram nicht mehr ernst nehmen.
Fangen wir bei meinem Berufszweig an. Ich bin schon zahlreichen Bloggern auf Instagram gefolgt und als ich sie dann bei Events traf, habe ich sie kaum erkannt. Zum einen, weil die Gesichter stark retuschiert waren oder sie sich auf Bildern drei Konfektionsgrößen schmaler retuschiert hatten. Es ist in Ordnung, sich von seiner vorteilhaften Seite zu zeigen, doch „Realness“ und Authentizität funktionieren anders. Geht es nicht um Körper, dann ist Make-up ein weiterer Faktor. Warum muss ich mir 2017 eine Stupsnase konturieren? Weshalb muss ich meine Wangenknochen hervorarbeiten? Sind Charakternase und weniger markante Gesichtszüge so out? Ein Schönheitsideal, das nur auf den ersten Blick Diversität verspricht und letztendlich doch schablonenhaft ist.
Formenreichtum in sehr engmaschigen Zügen. Entweder du bist „superskinny“ und hart wie ein Brett, deine Brüste am besten straff wie ein unreifer Pfirsich oder du machst auf Bodybuilderin der Bikini-Fitness-Klasse. Wahlweise geht auch eine nur partiell operierte Kim K in Yogapants mit Körbchengröße DD oder tatsächlich fettleibig und stolz wie Oskar im Badeanzug posierend vorm Ganzkörperspiegel. Dazwischen gibt es gefühlt nichts! Ich habe den Eindruck, von Stereotypen umgeben zu sein. Alle sprechen davon, dass Bodyshaming aufhören soll und sich jeder so lieben muss, wie er ist. Die Krux an der Sache? Kaum einer zeigt, wie er wirklich ist. Magazine springen auch endlich auf den Zug auf. Selbstliebe – der Mainstream hat dich wieder!
#bodypositive
Dabei ist Selbstliebe vermutlich die größte Herausforderung, der sich Mensch stellen kann. Unsere Unsicherheit und Verletzlichkeit würde nur noch zu einem Bruchteil bestehen, wenn wir uns rückhaltlos selbst lieben würden. Und der Weg dorthin führt nicht über plakativen Narzissmus, sondern über Selbstakzeptanz und ein starkes Selbstwertgefühl. Doch woher soll der Selbstwert kommen, wenn wir ständig gezwungen sind, uns zu vergleichen? Wenn man ständig dazu angehalten ist, sich selbst zu spiegeln? Je weniger man von der „perfekten Welt“ da draußen mitbekommt, desto gesünder. Mehr Lebensrealität findet man nicht im Netz oder old school in Printmagazinen, sondern in Sammelduschen auf Festivals.
Knick in der Optik
Ich habe seit vielen Jahren eine Körperwahrnehmungsstörung. Meine Dysmorphophobie ist nicht diagnostiziert, aber ich bin verständig genug, um mich selbst zu reflektieren. Und ich bin der Ansicht, dass wir im Kollektiv daran erkrankt sind. Ich hielt mich jahrelang für zu dick. Bereits im Teenageralter, dabei hatte ich zarte 57kg auf 1,74m Körpergröße. Auch heute noch sehe ich mich an und halte meine Schenkel häufig für unförmig und beäuge meinen Hüftspeck kritisch. Auf Bildern erschrecke ich dann, dass ich eher schmal aussehe. Ich nehme mich anders wahr. Ich halte das Groß der Frauen für schlanker und attraktiver und arbeite stets hart an mir, um mich dauerhaft in meinem Körper wohlfühlen zu können. Sicher ein Überbleibsel vom Mobbing aka Bodyshaming aus Schulzeiten und das, obwohl ich auch damals nicht wirklich übergewichtig war.
Ich selbst bin ein Beweis dafür, wie verquer wir uns innerhalb der Gesellschaft in Hinblick auf „Schönsinn“ und „Unsinn“ einordnen. Ich kenne zahlreiche andere Frauen, denen es ähnlich geht. Shorts werden wegen Cellulite gemieden, alle sporteln zu Kayla und einige spritzen sich für 129 € im Discount sogar die Lippen kylieesk auf. Würde man sich den Busen oder die Nase machen lassen, wenn man kein Vergleichsbild hätte bzw. der Parameter Attraktivität wegfiele? Vermutlich nicht. Jeder soll tun und lassen, womit er sich gut fühlt. Ich gehöre dazu, stecke selbst im Hamsterrad fest. Was ich mir jedoch wünschen würde, wäre mehr Ehrlichkeit in Hinblick auf das Thema Bodyshaming. Es ist schön, Toleranz, Akzeptanz und Selbstliebe zu verkünden, doch bitte ohne Doppelmoral. In einer Welt von Shapewear, Facetune und Fitness-Overload sucht die geforderte Body Positivity noch ihren Platz neben einem unleugbaren und vielseitig aufgestellten Schöheits-Regiment.
Bildcredit: Daniel Stirnberg / weaarefckgolden
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